Nach der Kreuzigung Jesu zerriss der Vorhang im Heiligtum. Warum war im Allerheiligsten keine Bundeslade mehr?
Die Bundeslade symbolisierte die Herrschaft Gottes: Der unsichtbare Gott ist anbetungswürdig (anbetende Cherubim auf der Bundeslade). Seine Herrschaft beruht auf Gnade und Versöhnung (Gnadenstuhl, der Deckel der Bundeslade; auch Sühnedeckel, Versöhnungsdeckel genannt) und auf Gerechtigkeit (die zwei Steintafeln mit den Zehn Geboten in der Bundeslade). Dabei steht Gottes Gnade und sein Versöhnungswillen über seiner Gerechtigkeit. Er ist also kein unnachsichtiger, harter, sondern ein barmherziger Richter, der denjenigen begnadigt, der seine Schuld bereut und um Vergebung bittet.
Für Paulus sind im Hebräerbrief die symbolische Aussagen des Heiligtums wichtiger als die Gegenstände selbst. Ohne diese geistlichen Wahrheiten wäre der Tempel auch nur ein Gebäude und die Bundeslade nur ein vergoldeter Akazienholzkasten gewesen. Die symbolischen Aussagen sind also das Eigentliche. Wie die Archäologie zeigt, brauchten die Menschen damals immer wieder Anschauungsmaterial und Gegenstände, um bestimmte Wahrheiten stets vor Augen zu haben und sie nicht zu vergessen. Deshalb hat Gott den Israeliten auch das Heiligtum mit seinen vielen bildhaften Handlungen und Gegenständen gegeben.
Als Jesus kam, machte er den Menschen klar, dass man das alles nicht braucht, wenn man Gott „im Geist und in der Wahrheit" anbetet (Joh 4,19–24), und Paulus zitiert den alttestamentlichen Propheten Jeremia, der schon angekündigt hat, dass Gott einen neuen Bund mit uns Menschen schließen will, bei dem seine Gebote nicht mehr auf zwei Steintafeln stehen, sondern im Herzen des Gläubigen geschrieben werden (Hebr 8,8–13). Es ist das selbe Gesetz, nur der Ort, wo es aufbewahrt wird, hat sich geändert. Es reicht eben nicht, wenn wir Gottes Willen schriftlich haben, wenn er aber nicht in uns lebt und nicht unser Wollen, Denken und Fühlen bestimmt.
Nicht dass irdische Heiligtum ist demnach für uns wichtig, sondern das himmlische oder das wahre Heiligtum (Hebr 8,1.2). Dort ist der Ort der Versöhnung. Das irdische sollte nur symbolisch darauf hinweisen (Hebr 9,24). Dort ist der wahre Thron Gottes, der durch die Bundeslade symbolisiert wurde. – Wenn in der Offenbarung davon gesprochen wird, dass sich die Bundelade im Tempel Gottes im Himmel befindet, dann ist dies eine symbolische Aussage. Überhaupt ist die Offenbarung in Bildern und Symbolen geschrieben, die wir nicht wörtlich nehmen dürfen, sondern von anderen Texten der Bibel her erklären müssen (Beispiel: Offb 9,19 – Rosse, deren Kraft in ihrem Maul ist und die mit ihren Schwänzen Schaden tun; Jes 9,14: die Häupter sind die politischen Führer und die Schwänze die falschen Propheten – d. h. durch die Reden der Politiker und durch falsche Propheten werden in der geschilderten Zeit Menschen zu Schaden kommen). Deshalb ist die Erwähnung der Bundeslade in Offb 11,19 auch nur symbolisch zu verstehen: Am Ende der Zeit wird allen Menschen klar werden, dass im Himmel ein anbetungswürdiger, gnädiger und gerechter Gott ist (vgl. Offb 14,6.7).
Josephus, ein jüdischer Geschichtsschreiber, schreibt übrigens in seinem Buch „Altertümer", dass Jeremia die Bundeslade versteckt hat, als Nebukadnezar Jerusalem angriff und anschließend den Tempel zerstörte Die Bibel schweigt darüber und sagt nur, dass die anderen Geräte des Tempels nach Babylon mitgenommen wurden (2. Kön. 25,14.15; Dan.5,1–3). König Kyros gab später den Juden wieder mit (Esra 1,7–11). Nachdem die Römer den zweiten jüdischen Tempel zerstört hatten, kamen die Geräte nach Rom, gingen dort aber verloren. Der siebenarmige Leuchter wird noch auf dem Titusbogen abgebildet (Triumphzug des Titus durch Rom).
Manche Archäologen meinen, dass die Bundeslade sich unterhalb Jerusalems in einer verschütteten Höhle befindet. Andere meinen Jeremia hätte sie in Höhlen östlich Jerusalems verborgen. Laut Makkabäer 2,4–8 (das ist ein Buch aus den Apokryphen) hat er sie jedoch an dem Berg versteckt, auf dem Mose über den Jordan in das Land Kanaan geschaut hat. Da sie voll mit Gold überzogen ist, konnte sie nicht verrotten und müsste also noch da sein. Die Bibel macht aber keine Aussage darüber.
Über die Frage, warum Gott die Bundeslade in ihrem Versteck gelassen hat, statt sie in den neu erbauten Tempel zurückbringen zu lassen, kann man nur spekulieren. Vielleicht sollte den Juden bei der Kreuzigung Jesu und dem Zerreißen des Vorhangs nicht nur klar werden, dass zu der Zugang zu Gott nun allen Menschen offen steht. Vielleicht wollte er ihnen auch zeigen, dass er nicht mehr im irdischen Tempel gegenwärtig ist, und dieser deshalb keine Bedeutung mehr hat. Und es könnte auch sein, dass er nicht wollte, dass die Bundeslade in der Zeit der Machtkämpfe vor der Geburt Jesu durch Syrer, Römer oder die über die Juden herrschenden Fürsten entheiligt wurde.
Wie gesagt, die Bundeslade ist nur ein Symbol. Der anbetungswürdige, gnädige und gerechte Gott im Himmel ist vielmehr das Wichtige, dem wir uns zuwenden sollen.
Elfriede E. aus 83308 Trostberg