Dürfen sich Christen gegen Gewalttätigkeiten verteidigen?
„Christen leben in einer Welt, die auch vom Bösen beherrscht wird.“
Viele Christen fragen sich, ob das Recht auf Selbstverteidigung auch für sie gilt. Hat Jesus ihnen nicht in der Bergpredigt geboten, die andere Wange hinzuhalten? Den Schlüssel zum richtigen Verständnis von Mt 5,38.39 finden wir jedoch in zwei entscheidenden Aussagen:
1. „Ihr habt gehört, dass gesagt ist ..." (Vers 38). Dies ist ein Zitat aus 2 Mo 21,24. Es geht hier um Rechtsordnungen. Diese Gesetze sollten Richtern helfen, ein gerechtes Urteil zu fällen (Vers 18+19). Sie wurden jedoch missbraucht, um die persönliche Rache zu rechtfertigen. Jesus wollte aber, dass Streitende sich versöhnen. Deshalb sollen Christen lieber einstecken, als sich von Rachegefühlen leiten zu lassen.
2. „... wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt ..." (Vers 39). Jesus geht es um den Schlag mit der rechten Rückhand, der in vielen Kulturen als Zeichen der Beleidigung oder der Herausforderung zum Kampf gilt. In einer solchen Situation sollen Christen die andere Wange hinhalten, d. h. schweigen, freundlich antworten und auch Verletzungen hinnehmen. Gesetzwidrige Gewalt steht hier also nicht zur Debatte. Unrechtmäßige Angriffe brauchen sie nicht einfach zu erdulden. Deshalb ließ Jesus es nicht zu, dass die Einwohner von Nazareth ihn einen Berg hinunterstießen (Lk 4,28).
Jesus hat jedenfalls Angreifer zur Rede gestellt. Als der Knecht des Hohenpriesters ihn schlug, hielt Jesus nicht die andere Wange hin, sondern fragte ihn, mit welchem Recht er ihn schlage (Joh 18,23). Weil es bei den Juden verboten war, einen Angeklagten vor seiner Verurteilung zu schlagen, zeigt Jesus damit, dass seine Richter selbst vor Gericht gestellt werden müssten. Auch Paulus verteidigte sich mit diesem Argument vor dem Hohen Rat (Apg 23,2.3).
Liebe zum Nächsten darf sich außerdem nicht in schönen Worten erschöpfen. Braucht jemand Hilfe, sollen wir ihm beistehen. Das gilt auch für diejenigen, die Gewalt erleiden. Dabei gerät der Christ in einen inneren Konflikt. Auch der Angreifer ist sein Nächster, den er lieben soll. Wenn er ihn nicht mit Worten von weiterer Gewalt ablenken kann oder wenn der Angreifer sich gegen ihn selbst wendet, muss er sich auch bei der Nothilfe die Frage stellen, ob und wieweit er sich wehren soll, oder ob passives Leiden oder Flucht die einzigen Alternativen sind.
Manchmal kann tatsächlich freundliches Reden den anderen besänftigen. Dabei hilft es, eigene Fehler zuzugeben und um Entschuldigung zu bitten. Wer dagegen Angst oder Wut zeigt, wird den Angriffslustigen nur noch mehr reizen. Weggehen oder weglaufen hilft oft, Gewalttätigkeiten zu meiden. Manche Christen denken auch daran, Selbstverteidigungstechniken anzuwenden, die einen Angriff abwehren, ohne den Gegner zu verletzen. Leider funktionieren diese meistens nicht auf der Straße, wenn Angst, Schmerz und Stress den Angegriffenen lähmen. Gewissenskonflikte sind hier also nicht ausgeschlossen.
Christen leben in einer Welt, die auch vom Bösen beherrscht wird. Sie selbst sind ebenso nicht jenseits von Gut und Böse. Deshalb ist es verständlich, wenn sie plötzlich mit Gewalt reagieren, wenn sie Gewalt und Bedrohung erleben. So stürzte sich ein friedliebender Christ im Dunkeln auf einen Angreifer, der im Begriff stand, ein Mädchen zu vergewaltigen. Er schlug so lange auf ihn ein, bis dieser davonlief. Geschockt musste der Mann danach feststellen, dass er damit seiner eigenen Tochter das Leben gerettet hatte.