Bin ich abhängig vom Essen, weil ich gern und gut esse?

Die Mönche des Mittelalters meinten, sie müssten asketisch leben, um Gott zu gefallen. Die Bibel verkündet jedoch keine Religion der Entsagung, sondern der Lebensfreude. Schließlich hat Gott uns Geschmacksnerven geschenkt und die Nahrungsmittel mit Farben, Geschmacks-, Aroma- und Duftstoffen versehen. Laut Salomo sollen wir uns deshalb am Essen erfreuen – das ist ein Geschenk Gottes an uns (Pred 5,17–19).

Woran kann man dann erkennen, ob jemand vom Essen abhängig ist? Die Menge kann es nicht sein. Es kommt darauf an, wie groß der Bedarf des Körpers an Kalorien ist. Auch beim Körpergewicht müssen wir differenzieren. Teenager meinen oft, sie seien zu dick, obwohl sie Untergewicht haben. Manche Menschen fühlen sich dagegen nur dann körperlich und seelisch wohl, wenn sie ein gewisses „Polster“ besitzen. Es gibt zwar Richtlinien für ein gesundheitsförderndes Normalgewicht, aber sie lassen uns auch einen Spielraum.

Gefährdet das Körpergewicht unsere Gesundheit, dann müssen wir natürlich die Kalorienaufnahme einschränken. Das meint kein radikales Hungern. Auch dann sollen wir mit Appetit essen – aber die Menge reduzieren. Wer nur Körner kaut oder Slim-Drinks schluckt, bekommt meistens noch mehr Appetit und wird schnell rückfällig. Besser ist das Motto: „Klein, aber fein!“ Doch wenn wir uns dabei nicht körperlich bewegen und so den Grundumsatz an Kalorien steigern, helfen auch keine Diätpläne.

Manche „Ess-Süchtige“ leiden aber nicht an Übergewicht, sondern haben nur einen falschen Maßstab dafür, wie ihr Körper auszusehen hat. Das ist oft bei attraktiv aussehende Frauen der Fall. Sie haben vielleicht ideale Körpermaße, trotzdem fühlen sich nicht geliebt und angenommen. Deshalb meinen sie: „Wenn ich noch besser, noch jugendlicher aussehe und noch schlanker bin, dann erhalte ich Zuneigung und Bewunderung.“ Dabei vergessen sie, dass die wenigsten für ihren Körper geliebt werden (der wird höchstens eine Zeit lang bewundert), sondern für ihr Wesen, ihren Charakter.

Menschen, die einen Model-Körper haben und erhalten wollen, leiden wahrscheinlich auch unter Perfektionismus und Pessimismus. Sie möchten einen idealen Körper haben, möchten „vollkommen“ sein – und sehen alles negativ, weil das erträumte Ideal nicht erreicht wurde. Sie vergleichen sich mit den Models in Zeitschriften und übersehen, dass diese auch nur normale Menschen sind, die für ihre Fotos und Auftritte mit hohen Aufwand gestylt und deren Bilder retuschiert wurden.

Hier hilft die Einstellung: Vollkommen ist nur einer – Gott! Wir Menschen werden immer fehlerhaft sein, unvollkommen aussehen und altern. Erst wenn Jesus wiederkommt, erhalten wir einen vollkommenen Körper (1 Kor 15,42–44). Auch dieses Wissen entkrampft uns, und das ist wichtig. Unser selbstgesetzter Zwang macht uns krank. Wer ständig meint, er müsse aber ..., wird nie ein froher, freier Mensch werden, der unbeschwert das Leben genießen kann.

Uns steht heute ein Überangebot von Lebensmitteln zur Verfügung. Die Regale der Supermärkte sind voll mit Produkten aus aller Welt. Werbekampagnen versuchen uns neuentwickelte Nahrungs- und Genussmittel schmackhaft zu machen. Und Lebensmittelchemiker tüfteln daran, wie man die Geschmacksnerven stärker reizen und befriedigen kann.

Das alles zeigt: Es geht hier nicht allein um das Sattwerden und die optimale Versorgung des Körpers mit Nährstoffen. Es geht um den Genuss. Tatsächlich suchen viele Menschen gute Laune, Zufriedenheit und Freude über den Gaumen. Weil aber die so erzeugten positiven Gefühle nur kurzfristig sind und weil Geschmacksnerven abstumpfen können, braucht man ständig neue und immer stärkere Reize. So kann Essen sogar zur Sucht werden.

Diese Abhängigkeit ist für viele Menschen ein belastendes Problem. Auf der einen Seite reizt allein schon der Gedanke an den guten Geschmack eines Nahrungs- oder Genussmittels. Auf der anderen Seite rufen Waage, Spiegel oder gesundheitliche Störungen nach Zurückhaltung beim Essen. Unzufriedenheit, Ärger über die eigene Unfähigkeit, die Esslust kontrollieren zu können, ja sogar Depression und Resignation sind häufige Folgen.

Bei schweren Fällen von Ess-Sucht braucht man sicherlich die Hilfe eines Therapeuten und/oder einer Selbsthilfegruppe. Trotzdem gibt es auch viele Menschen, die allein durch die Hilfe Gottes davon frei wurden. Die Verheißung „Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei“ (Joh 8,36) hat schon vielen Abhängigen geholfen. Voraussetzung dafür ist eine enge und tägliche Beziehung zu Jesus Christus.

Uns sollte aber auch klar sein: Gott will, dass Essen Freude macht. Der Gottesdienst der Israeliten war oft vom fröhlichen Essen umrahmt (vgl. Neh 8,8–12). Im Alten Testament war Fasten eine freiwillige Angelegenheit. Die Fastengebote der Juden zur Zeit Jesu und das asketische Leben christlicher Mönche gingen eher auf griechische Einflüsse zurück. Die griechische Lehre von der unsterblichen Seele wertet ja den Körper ab. Deshalb betrachteten die Christen ihn wegen seiner Vergänglichkeit als minderwertig und wegen seiner Triebe als böse. Damit verdammten sie etwas, das Gott geschaffen hatte. Der Ess- und Sexualtrieb sind ein Geschenk Gottes an uns (Pred 9,5–10).

Problematisch wird es nicht nur, wenn wir Gottes Geschenke als böse bezeichnen, sondern auch, wenn wir sie missbrauchen. Der Mensch neigt immer wieder dazu, in Extreme abzugleiten, die sich rechts und links seines Lebensweges auftun. So schaden wir uns selbst, wenn wir unmäßig werden. Hier brauchen wir die Hilfe Gottes. Er schenkt uns durch den Heiligen Geist auch die Kraft zur Selbstbeherrschung (Gal 5,22 – „Keuschheit“, wörtlich „Enthaltsamkeit, Selbstbeherrschung“). – Es befreit aber auch von falschen Schuldgefühlen, wenn wir wissen, dass Essen uns Freude machen soll.