Ist der Zehnte ein jüdisches Gebot?

„Der Zehnte war schon vor der Zeit der Israeliten bekannt und wird im Neuen Testament nicht aufgehoben.“

Der Zehnte war schon bekannt, als es das Volk Israel noch nicht gab. Auch Abraham und Jakob waren bereit, Gott den zehnten Teil ihres „Einkommens" zu geben (1. Mose 14,17-20; 28,20-22; Hebräer 4,1-10). Überhaupt findet sich der Zehnte bei fast allen Völkern des Altertums – sogar in Asien und Afrika. Deswegen sind manche Theologen der Überzeugung, dass der Zehnte schon vor dem Turmbau von Babel bekannt war.

Zur Zeit des Volkes Israel war er für den Unterhalt der Priester und Leviten bestimmt. Beim Einzug in das Land Kanaan erhielten sie nämlich im Gegensatz zu den zwölf Stämmen Israels keinen Landbesitz. Sie sollten nicht als Bauern oder Handwerker ihren Lebensunterhalt verdienen, sondern hatten die Aufgabe, den Tempeldienst zu verrichten. Außerdem unterwiesen sie die Menschen im Glauben, in der Kenntnis der schon vorhandenen biblischen Bücher und im Schreiben und Lesen. Sie leiteten die örtlichen Gottesdienste und waren für Gesundheitsfragen und als Seelsorger tätig. Dafür wurden sie mit dem Zehnten versorgt (4. Mose 18,20-24).

Jedesmal wenn die Zahlung des Zehnten eingestellt wurde, mussten sich die Priester und Leviten selbst um ihren Lebensunterhalt kümmern und vernachlässigten ihren Dienst (Nehemia 13,10-12). Deshalb wurde das Volk auch nicht von Gott gesegnet (Maleachi 3,7-9). Die Menschen meinten, besser leben zu können, wenn sie den Zehnten für sich behielten. Doch das Gegenteil war der Fall. Wenn sie aber den Zehnten gaben, waren die restlichen neun Zehntel für sie mehr wert, weil Gott sie segnete (Maleachi 3,10). Der Zehnte gehörte also Gott. Er sollte nicht mit dem Gedanken gegeben werden, die Geistlichen des Volkes bezahlen zu müssen.

Diese Ordnung wurde im Neuen Testament nicht aufgehoben. Jesus wies darauf hin, dass wir Gott das geben sollen, was ihm gehört (Matthäus 22,21). Damit meinte er Gaben und Zehnten (Matthäus 23,23). Auch Paulus schrieb, dass die Vollzeit-Verkündiger des Evangeliums von den Gliedern der christlichen Gemeinde „ernährt" werden sollten (1. Korinther 9,13.14). Als Neuland-Missionar in Korinth arbeitete er zwar für seinen Lebensunterhalt (Vers 15; Apostelgeschichte 18,3), aber er wurde dabei trotzdem durch andere Gemeinden unterstützt (2. Korinther 11,7-9).

Auf der Synode in Macon (585 n. Chr.) wurde aus dem bisher freiwilligen Zehnten eine gesetzliche Abgabe oder Kirchensteuer (Paul Zeller, Theologisches Handwörterbuch, II, Art. „Zehnte", S. 975). Wer diese Zahlung nicht leisten wollte, wurde mit dem Bann bedroht. Noch heute finden wir in traditionsreichen Städten Straßennamen wie „Zehntengasse" oder „Zehntscheuerstraße". Sie weisen darauf hin, dass die Menschen bis ins 19. Jahrhundert hinein ihren Zehnten dort abliefern mussten. In der Neuzeit wurde schließlich aus dem gesetzlichen Zehnten die heute übliche Kirchensteuer.

Bekannte Männer der Weltwirtschaft wie W. Colgate, F. W. Woolworth, J. D. Rockefeller oder J. L. Kraft waren überzeugt, dass Gott sie besonders gesegnet hatte, weil sie ihm den Zehnten ihres Einkommens gegeben hatten – nicht als gesetzliche Steuer, sondern als freiwillige Gabe.

Mit dem freiwilligen Zehnten unterstützen Christen nicht nur die Verkündigung des Evangeliums, sie zeigen damit auch, dass letztlich alles Gott gehört.