Sind Neugeborene durch die Erbsünde schuldig vor Gott?

„Jeder Mensch wird von Gott nur für seine eigenen Sünden zur Rechenschaft gezogen, nicht für die Schuld seiner Vorfahren.“

Das Wort „Erbsünde" ist kein biblischer Begriff. Deshalb finden wir weder im Bericht über den Sündenfall des Menschen, noch im Neuen Testament Hinweise auf eine Erbsünde.

Der Kirchenlehrer Tertullian (3. Jh. n. Chr.) ist wohl der erste, der behauptete, dass „in Adam" die ganze Menschheit enthalten gewesen sei und deshalb auch „mit ihm gesündigt" habe. Die Sünde werde als Anlage vererbt und schließlich beim Erwachsenen zur Schuld. Der Säugling sei also noch unschuldig, aber nicht sündenfrei. Dieser Gedanke wurde vom Kirchenlehrer Cyprian weiterentwickelt. Er spricht schon von „fremder Schuld" bei Kleinkindern und begründete damit die Notwendigkeit einer Säuglingstaufe. Würde diese Schuld nicht durch ihre Taufe getilgt, müssten die Neugeborenen verloren gehen. Er übersah also, dass Jesus Kindern das ewige Leben zugesprochen hat (Matthäus 19,13-15).

Entscheidend wurde die Erbsündenlehre später von Augustinus (4. Jh.) geprägt: Durch den mit Lust verbundenen Zeugungsvorgang werde die Erbsünde auf den Menschen übertragen. Damit werde er schuldig und ein verdammungswürdiger Sünder. Seine einzige Rettung läge in der Taufe. Die Theorien des Augustinus wurden größtenteils von der Kirche übernommen. Heute dagegen distanziert sich die katholische Dogmatik von seinen Anschauungen. Erbsünde ist für sie nur „das Fehlen des Gnadenstandes in allen Nachkommen Adams".

Die östliche Kirche entwickelte damals keine spezielle Sündenlehre und damit auch keine Lehre von der Erbsünde. Für sie war ein Säugling noch sündenfrei, weil Sünde nur das Fehlen des Guten sei und eine Verblendung und Schwächung der Vernunft darstelle.

Nach Martin Luther ist der Mensch kein Sünder, weil er Sünde tut, sondern weil er durch die Erbsünde (also von Geburt an) Sünder ist, sündigt er und ist in allen seinen Regungen verdorben. Luther und auch Calvin halten an Augustinus fest, weil dadurch der Mensch an seiner Errettung keinen Verdienst hat, sondern ganz von der Gnade Gottes abhängig ist.

Laut Bibel wird der Mensch aber nicht deshalb als Sünder geboren wird, weil er „in Adam" gesündigt hat. Er trägt vielmehr wegen seiner Abstammung von Adam von Geburt an die Neigung zur Sünde in sich. Er hat die Tendenz zum Bösen, aber trägt noch keine persönliche Schuld, bis er selbst gesündigt hat. Darum wird er nur für seine eigene Schuld von Gott zur Rechenschaft gezogen und nicht für die Sünden seiner Vorfahren (Hesekiel 18,14-20).

Luther übersetzte also den Vers in Römer 3,23 nicht exakt, wenn er schrieb: „Sie sind allesamt Sünder ..." Hier ließ er sich von seiner Theologie der Erbsünde beeinflussen. Wörtlich hat Paulus jedoch geschrieben: „Alle nämlich haben gesündigt ..." Der Apostel spricht also nicht von einer Kollektivschuld, an der man eigentlich persönlich keinen Anteil hat. Es geht ihm vielmehr um die Verantwortung des Menschen für sein eigenes böses Denken, Fühlen und Handeln, von dem sein Leben vom ersten Atemzug an bestimmt ist. Dafür braucht er Vergebung und Erlösung durch Jesus Christus.