Hat Jesus den Verstorbenen in der Hölle das Evangelium verkündigt?

„Schon zur Zeit des Alten Testamentes hat Jesus durch den Heiligen Geist den Menschen das Evangelium von der Erlösung verkündigt.“

Manche Christen glauben auf Grund von 1. Petrus 3,18-20; 4,6, dass Jesus nach seiner Kreuzigung als Geistwesen den Verstorbenen in der Hölle das Evangelium verkündigt habe. Dieser Text muss jedoch unter folgenden Voraussetzungen verstanden werden:

  • Gott ist allein unsterblich (1. Timotheus 6,16).

  • Der Mensch erhält die Unsterblichkeit erst bei der Wiederkunft Jesu (1. Korinther 15,50-55).* Die Folge der Sünde ist Tod, nicht ewiges Leben in einer Hölle (Römer 6,23).

  • Ein Toter kann weder denken, noch fühlen, wollen oder handeln (Prediger 9,5.6.10).

  • Bis zur Auferstehung liegen die Verstorbenen im Grab (Johannes 5,28.29).

  • Den Gestorbenen wird kein Evangelium verkündigt (Psalm 88,12).

  • Nach seinem Tod hat der Mensch keine erneute Entscheidungsmöglichkeit (Hebräer 9.27).

Von diesen Bibeltexten her gesehen, kann Jesus nach seiner Kreuzigung den Toten nicht das Evangelium verkündigt haben. Bei der Erklärung schwer verständlicher Texte dürfen die klaren und eindeutigen Aussagen der Bibel nicht übersehen werden. Sie stehen immer über den mehrdeutigen Texten. Außerdem können wir nicht etwas in die Bibel hineinlesen, was ihre Schreiber nicht kannten oder glaubten.

Petrus steht hier also in keinem Widerspruch zu Johannes, Paulus, Salomo oder David. Der Widerspruch entsteht erst durch die Interpretation seiner Aussage. Der Apostel spricht von keiner Hölle, in denen unsterblichen Seelen gepredigt wird. Es geht ihm vielmehr um Menschen, die vor der Sintflut lebten und in ihrer Sünde gefangen waren (vgl. 2. Timotheus 2,26; Jesaja 61,1.2).

Auch vom historischen Standpunkt aus gesehen kann Petrus nicht gemeint haben, dass die Toten durch den verstorbenen Christus eine zweite Chance erhielten. Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele drang nämlich erst im 3. Jh. n. Chr. in das Christentum ein und wurde 1515 n. Chr. auf dem 5. Laterankonzil zur verbindlichen Glaubenslehre erhoben. Luther lehnte sie strikt als unbiblisch ab (Osterloh–Engelland, Bibl. Theol. Handwörterbuch zur Lutherbibel, 1964, S. 626). Es ist theologisch unsauber, wenn man etwas in die Bibel hineinzulesen versucht, was ihre Schreiber nicht vertraten.

Petrus will vielmehr sagen: Jesus hat durch den Heiligen Geist auch schon damals (zur Zeit Noahs beispielsweise) den Gottlosen (den „Gefangenen der Sünde") das Evangelium verkündigt. Aber die meisten haben nicht geglaubt. Das Evangelium ist also keine neue Sache. Auch die Toten haben es gehört – als sie noch lebten (in Ruth 1,8 wird ähnlich von Toten gesprochen; gemeint ist auch hier: als sie noch nicht gestorben waren). Manche von ihnen haben sich damals bekehrt, wurden aber trotzdem für ihr Vergehen bestraft (auch wenn ein Mörder seine Tat bereut und Gott um Vergebung bittet, muss er die Strafe tragen, die der Richter ihm auferlegt; er verliert beispielsweise sein jetziges Leben, aber hat die Gewissheit, dass Gott ihm das ewige Leben schenkt – vgl. Kapitel 4,6; Lukas 23,39-43). Die frohe Botschaft von der Erlösung durch Gottes Gnade ist also keine Sache des Neuen Testamentes allein. Sie wurde auch schon zur Zeit des Alten Testamentes gepredigt (vgl. Jesaja 53).